Archiv der Kategorie: Ausflüge

Überraschungen für Fortgeschrittene

Bletchley Park: Noch so ein Mekka der Computerkultur

Der Computer, an dem Sie dies betrachten, verdankt den Vorarbeiten viel, die der Mathematiker Alan Turing hier geleistet hat, in der kleinen grünen Hütte in Bletchley Park.

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Turing arbeitete damals an einer automatischen Methode, um den deutschen Enigma-Code zu knacken. Die Vorarbeiten dazu allerdings drehten sich um ein rein mathematisch-philosophisches Rätsel, das sogenannte Entscheidungsproblem. Bletchley Park ist ein eigenartiger Ort. Er huldigt natürlich dem Mathematiker, zeigt Fotos von ihm, eine Statue, sogar seinen Teddybär. Nachbauten seiner Rechenmaschinen sind zu sehen. Doch das Sammelsurium der Ausstellung wirkt zunächst verwunderlich. Auf Tassen steht „Enigma“ gedruckt – dabei war das doch das Codiersystem der Wehrmacht. Auch das Kino ist nach Enigma benannt. Auf anderen Tassen sind Reproduktionen von Lebensmittelmarken zu sehen – ein Symbol der Mangelwirtschaft. Beide Motive verwundern zunächst. Neben dem Kernbereich der Ausstellung sind Oldtimer zu sehen und sogar die alten Fahrradständer von damals. Hier wird nicht in erster Linie der Aufbruch ins Computerzeitalter gefeiert, die Sehnsucht nach der technischen Perfektibilität der Gesellschaft gemäß der kalifornischen Ideologie, wie sie etwa von „Wired“ zelebriert wird. Bletchley Park blickt nicht nach vorne, sondern zurück. Im Zentrum steht ein nostalgischer Patriotismus, der eine einst große Nation feiert, vereint durch die Kriegsanstrengung. Gerne wird in Bletchley Park geheiratet. Weil alles so schön altmodisch wirkt. Als sei damals die Welt noch heil gewesen. Der Andenkenschop quillt über von süßlichen Nostalgieprodukten: Keksen aus Bletchley Park und natürlich auch Tee mit dem Logo des Museums, garniert mit dem Spruch: „You can’t beat a cuppa in a crisis“.

In 10 Minuten zum Experten: Hier der „Instant Expert“ zum Thema Turings Erbe, zusammgengestellt vom „New Scientist“.

 

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Annie Leibovitz pilgert zu Freud, Darwin, Dickinson (Frage: wo finde ich die Liste der Pilgerorte, die sie gemeinsam mit Susan Sontag erstellt hatte?)

Die Fotografin Annie Leibovitz begab sich auf eine intime und doch sehr kanonische Bildungsreise nach dem Tod ihrer Lebenspartnerin Susan Sontag. Im Herbst legte sie den darauf basierenden Fotoband vor: Pilgrimage. Dominique Browning schreibt in der „New York Times“ über Leibovitz‘ Besuch bei den Niagarafällen:

„she noticed that her girls were mesmerized. She went to where they were standing, and grew still. “I was stunned by the beauty of the water,” she says. The picture she took that morning became the cover of the book. Weiterlesen

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Gagarin unter Palmen: Impressionen zum Raketenstart am 20. Oktober

Captain Fish öffnet versonnen eine Flasche Bier mit der Klinge seiner Machete. Er hat einen guten Riecher, er weiß genau, wo ein guter Fang lockt, auf dem Meer und an Land.

„Wir waren acht Tage auf See in der Karibik“, sagt er, „wir haben 300 Fische gefangen, die haben wir gerade für 200 Euro verkauft.“ Die speckigen fünf-Euro-Noten hat er mit seiner Mannschaft geteilt, die fünf sitzen trinkend und verschwitzt auf dem rostigen Kutter am morschen Holzsteg von Sinnamary und feiern ihr Glück bei 32 Grad im Schatten, Zigaretten und Flaschen machen die Runde durch schwielige Hände.

Captain Fish, so nennen ihn seine Jungs, eigentlich heißt er Vishal Singh. Er kommt aus der ehemaligen britischen Kronkolonie Guyana, einem von drei Dschungel-Ländern zwischen Amazonas und Karibik. Aber er verkauft lieber hier im Nachbarland Französisch-Guayana, weil das wohlhabend ist, ein Außenposten der EU, ein vollwertiges Département von Frankreich, eine Exklave der Baguettes und Escargots zwischen Kokospalmen, wo im Radio für die Normandie Regenwetter angekündigt wird, 7000 Kilometer über den Atlantik.

Ausgerechnet Sinnamary, das verschlafene Kaff an einer schlammigen Flussmündung, Weiterlesen

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Ein Mekka des Unglaubens am Trinity College

Worin unterscheiden sich religiöse Menschen von Ungläubigen? Der Religionssoziologe Barry Kosmin untersucht die Trends und Beweggründe des Unglaubens. Und kommt zu erstaunlichen Ergebnissen. Zum Beispiel dies: Die Zahl der Konfessionslosen in den USA hat sich in den vergangenen Jahren verdoppelt auf 15 Prozent. Die Renaissance der Religion in den USA ist ein Medienhype ohne statistische Basis. In Sachen Unglauben liegen die USA im weltweiten Durchschnitt. Dazu ein Bericht im „Spiegel“ (30/2011, S. 106):

Barry Kosmin ist ein Marktforscher der etwas anderen Art. Die von ihm untersuchten Kunden konsumieren bei Firmen, die Namen wie Lifechurch.tv oder World Overcomers Christian Church™ tragen. Der Soziologe analysiert die von US-Kirchen angebotenen Souvenirshops, Fernsehsendungen und Gottesdienstleistungen.

Vor allem aber erforscht Kosmin jene Gruppe von Kunden, die sich im Konsumstreik befinden und keine religiösen Produkte nachfragen: die Ungläubigen. „Die Konfessionslosen sind das am schnellsten wachsende Segment auf dem Markt der Weltanschauungen“, sagt Kosmin. „In den vergangenen 20 Jahren hat sich ihre Zahl in den USA auf 15 Prozent verdoppelt.“

Kosmin, ein jovialer Mann von Anfang sechzig, ist Leiter des „Institute for the Study of Secularism in Society and Culture“ in Hartford, ungefähr auf halbem Weg zwischen Boston und New York gelegen. Sein American Religious Identification Survey (ARIS) gehört zum Besten, was es auf diesem Sektor gibt.


Kosmin hat sich dem Studium des Atheismus und seiner Spielformen verschrieben. Angesiedelt ist sein Institut ausgerechnet am Trinity College, zu deutsch: Dreifaltigkeits-Uni. Auf seinem Bürostuhl prangt das Wappen seiner Alma Mater mit dem Wahlspruch: „Pro ecclesia et patria“ – für Weiterlesen

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Südkorea macht vor, was Innenminister Friedrich fordert

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) fordert, dass Blogger  „mit offenem Visier“ kämpfen sollen: “ „Warum müssen ,Fjordman‘ und andere anonyme Blogger ihre wahre Identität nicht offenbaren?“

Nun stellt sein Ministerium klar, dass Friedrich dazu kein Gesetz anstrebe. sondern der Minister nur laut nachgedacht habe.

Wie eine solche Zwangs-Identifizierung aussehen könnte, darüber schweigt sich der Minister aus guten Grund aus, denn zum einen scheint er die Rechtslage nicht zu kennen: Eine Impressumspflicht ist im Telemediengesetz längst gesetzlich festgeschrieben. Zum anderen ist noch nie jemand für ein anonymes Posting belangt worden.

Wie aber sieht es mit Friedrichs Hoffnung aus, dass Schreiber, die „mit offenem Visier“ schreiben, weniger zu gefährlichen Äußerungen neigen? Auch hier lässt Friedrich viele Fragen offen. Ander Behring Breivik zitiert in seinem wirren Manifest schließlich nicht nur den (einst) anonymen „Fjordman“, sondern auch Autoren wie Robert Spencer, Pamela Geller oder John Stuart Mill.

Was also bedeutet das Anonymitäts-Verbot, das der Bundesinnenminister sich wünscht? Das könnte er in Südkorea besichtigen. Hier gibt es das „Real Name Verification Law“:

„Due to the constant social issues caused by online slanders, the extended version of Real Name Verification Law was Weiterlesen

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Musik-Abhörstation auf dem Teufelsberg

(Hier ein Video)

Früher hörten die US-Streitkräfte vom Teufelsberg in Berlin aus den Funkverkehr der nahen DDR ab. Es fielen derartige Mengen an Mitschnitten an, die vernichtet werden mussten, dass die Verbrennungsanlage (Pyrloyse) angeblich ausreichte, um das Areal zu heizen. Wann kann man sich schon die Hände an Daten wärmen (außer mit dem iPad)?

Auch jetzt eignet sich das Areal wieder zum Lauschen. Oben in der sphärischen Kuppel des Radoms wird manchmal gesungen. Der Klang ist von sphärischen Echos begleitet und scheint aus allen Richtungen zu kommen. Das Erlebnis ist vielleicht sogar intensiver als in einer Kathedrale, weil der Kontrast so gigantisch ist zwischen den muffigen Gängen, den besprühten Wänden, den alten Feuerstellen und zerschlissenen Matrazen. Und diesen sphärischen Klängen. Sehr zu empfehlen für Ruinenromantiker. David Lynch wollte hier einst ein Schulungszentrum einreichten. Das passt.

Regen eignet sich besonders für einen Besuch. Wenn es gießt, werden immer wieder alte Kacheln und Hausteile am Hang freigespült, denn der Teufelsberg ist einer der vielen Schuttberge der Stadt. Unter ihm soll eine ehemalige Lehranstalt begraben sein, die Albert Speer für die Ausbildung seiner Germania-Architekten errichten ließ. Wer weiß dazu mehr? Oder zur Pyrolyse der Datenträger?

Führungen über das Gelände der ehemaligen Abhörstation: www.berlinsightout.de

Artikel in der Berliner Zeitung über den Teufelsberg.

(HS)

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Blues aus Mali: „Ihr kennt die Zweige, wir haben den Stamm“

Heute Artikel in der SZ:

Die Tuareg-Band und Grammy-Gewinner „Tinariwen“, deren Musik in den Ausbildungslagern der libyschen Armee entstand, geht auf Welttournee – ohne ihren Frontmann. Ibrahim Ag Alhabib ist in seiner Heimat Mali verschollen.

(….)

„Derzeit touren Tinariwen wieder durch die USA. Ihr jüngstes Album „Tassili“ hat den Grammy in der Kategorie Weltmusik gewonnen. Ihre Heimat Mali versinkt in einem Bürgerkrieg, mehr als 300.000 Menschen sind auf der Flucht. Der wortkarge FrontmannIbrahim Ag Alhabib blieb diesmal bei seiner Familie. Vielleicht hatte er auch keine Lust auf Talkshows, jedenfalls kam er nicht mit.

Nun ist er verschollen. Seit Wochen hat die Band keinen Kontakt zu ihm. „Man weiß nicht, ob er noch lebt. Es geht sogar das wilde Gerücht um, er könnte sich der Rebellion angeschlossen haben“, sagt Sedryk, Gründer des kleinen französischen Labels Reaktion, das sich auf die Sahara-Musik spezialisiert hat.“

* * *

Am 29. Juli 2011 traten Tinariwen aus Mali im Berliner Haus der Kulturen der Welt auf.

Videoclip 1

Videoclip 2

Peter Pannke berichtet zu diesem Thema in „Mekkas der Moderne“. Er schreibt über die Wurzeln des Blues in Westafrika:

Wenn man Timbuktu in Richtung Nordwesten verlässt, passiert man am Stadtrand, kurz bevor die Wüste beginnt, eine riesige Betonsäule. Steil ragen ihre Arme in den Himmel, in den Sockel sind verrostete, ausgebrannte Gerippe von Maschinengewehren eingegossen. Flamme de la Paix heißt dieses Denkmal, das daran erinnern soll, dass die Tuareg im März 1996 an dieser Stelle vor den Augen von Präsident Alpha Oumar Konaré und der versammelten Stammesführer 3000 Gewehre verbrannten, um den fragilen Frieden zu besiegeln, den sie mit dem Staat Mali geschlossen hatten.

»Die malische Armee hat ihre Waffen damals nicht mit ins Feuer geworfen«, murmelte der Tuareg, der mich zum Festival au désert in die Oase Essakane mitnahm, zwischen den Zähnen. Der Friedensschluss hinterließ einen bitteren Nachgeschmack. Etwa eine Million Tuareg verteilen sich über ein riesiges Gebiet, Weiterlesen

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John Stuart Mill and the massacre in Norway

Anders Behring B., suspected of killing at least 90 people at a youth camp of the norwegian Workers‘ Party on July 22, used a „quote“ from John Stuart Mill in his one and only Twitter message:

«One person with a belief is equal to the force of 100 000 who have only interests

The original quote seems to come from John Stuart Mill’s famous essay „On Liberty“ (1859).

The suspect seems to have misquoted Mill. His quote is off, amongst other things by a factor of 1000.

The original quote reads:

„One person with a belief, is a social power to ninety-nine who have only interests. Weiterlesen

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Gehört der Islam zu Europa?

„Gehören Moscheen neben Kirchen? Oder müssen wir uns abschotten, den Bau von Minaretten neben Glockentürmen verbieten?“ Diese rhetorischen Fragen beantwortet Georg Bossong, Professor für Romanistik an der Univerität Zürich in einem Artikel in der ZEIT (16.6.2011, S. 24). Er schreibt über das muslimisch regierte Spanien („Al-Andalus“) als Wurzel eines kulturellen Aufbruchs im Spätmittelalter. Zunächst einmal aber räumt er mit der Idealisierung eines multikulturellen muslimisch regierten Spanien auf:

„Natürlich wäre es groteske Schönfärberei, die mittelalterliche Geschichte Spaniens als ein multikulturelles Paradies in immerwährendem Frieden zu interpretieren. Es gab viel Krieg und blutigen Streit. Aber es Weiterlesen

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Hacker am Stellpult: Der Tech Model Railroad Club am MIT, Mekka des kreativen Umgangs mit Technik

Das MIT sei das Mekka des Hackertums, heißt es in einem Artikel im Spiegel von Marcel Rosenbach und Hilmar Schmundt:

Die Urahnen der Bewegung hatten schon Anfang der sechziger Jahre an der Elite-Universität MIT bei Boston mit technischen Streichen begonnen. Besonders kreative Basteleien nannten die Studenten „Hack“ – wahrscheinlich geht der Begriff auf die jiddische Sprache zurück: Ein ungeschickter Tischler heißt darin „Hacker“.

Im Jahr 1961 entdeckten MIT-Studenten den neuen „Supercomputer“ PDP-1. Er hatte derart wenig Speicherplatz, dass sie sich darin überboten, Programme mit so wenig Zeilen wie möglich zu schreiben. Man half sich aus, geistiges Eigentum galt nichts, man sah sich als verschworene Bruderschaft, als Überflieger-Elite.

Schnell entwickelte sich ein eigener Slang, Humor und etwas, das der Autor Steven Levy in seinem Standardwerk über die Szene als „Hacker-Ethik“ bezeichnete: Information wolle frei sein, schrieb er; Autoritäten sei zu misstrauen; und gute Programmcodes könnten eine eigene Schönheit haben.“

Zunächst die schlechte Nachricht: Die Originalanlage des Tech Model Railroad Club (TMRC) von damals gibt es so nicht mehr, vor ein paar Jahren musste der Club umziehen. Aber ansonsten ist dies Weiterlesen

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