Bletchley Park: Noch so ein Mekka der Computerkultur

Der Computer, an dem Sie dies betrachten, verdankt den Vorarbeiten viel, die der Mathematiker Alan Turing hier geleistet hat, in der kleinen grünen Hütte in Bletchley Park.

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Turing arbeitete damals an einer automatischen Methode, um den deutschen Enigma-Code zu knacken. Die Vorarbeiten dazu allerdings drehten sich um ein rein mathematisch-philosophisches Rätsel, das sogenannte Entscheidungsproblem. Bletchley Park ist ein eigenartiger Ort. Er huldigt natürlich dem Mathematiker, zeigt Fotos von ihm, eine Statue, sogar seinen Teddybär. Nachbauten seiner Rechenmaschinen sind zu sehen. Doch das Sammelsurium der Ausstellung wirkt zunächst verwunderlich. Auf Tassen steht „Enigma“ gedruckt – dabei war das doch das Codiersystem der Wehrmacht. Auch das Kino ist nach Enigma benannt. Auf anderen Tassen sind Reproduktionen von Lebensmittelmarken zu sehen – ein Symbol der Mangelwirtschaft. Beide Motive verwundern zunächst. Neben dem Kernbereich der Ausstellung sind Oldtimer zu sehen und sogar die alten Fahrradständer von damals. Hier wird nicht in erster Linie der Aufbruch ins Computerzeitalter gefeiert, die Sehnsucht nach der technischen Perfektibilität der Gesellschaft gemäß der kalifornischen Ideologie, wie sie etwa von „Wired“ zelebriert wird. Bletchley Park blickt nicht nach vorne, sondern zurück. Im Zentrum steht ein nostalgischer Patriotismus, der eine einst große Nation feiert, vereint durch die Kriegsanstrengung. Gerne wird in Bletchley Park geheiratet. Weil alles so schön altmodisch wirkt. Als sei damals die Welt noch heil gewesen. Der Andenkenschop quillt über von süßlichen Nostalgieprodukten: Keksen aus Bletchley Park und natürlich auch Tee mit dem Logo des Museums, garniert mit dem Spruch: „You can’t beat a cuppa in a crisis“.

In 10 Minuten zum Experten: Hier der „Instant Expert“ zum Thema Turings Erbe, zusammgengestellt vom „New Scientist“.

 

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Wurde 1417 die Moderne gefunden? In einem Kloster in Fulda? Und für zehn Cent wiederentdeckt?

Heute bekommt Stephen Greenblatt für sein Buch „The Swerve“ (Die Wende) den mit 10 000 Dollar dotierten Pulitzer Prize verliehen (in der Sparte Sachbuch). Er kann nicht persönlich in New York sein, weil er am Wissenschaftskolleg in Berlin ist (Hier ein Interview). Das obige Foto zeigt Greenblatt mit dem Motiv der Lukrez-Ausgabe, die er als Student kaufte, und die ihn Zeit lebens faszinierte. Sein Buch beginnt so:

„Als ich noch Student war, besuchte ich gegen Ende des Schuljahres regelmäßig den Yale Co-op und schaute, was ich für den Sommer zu lesen fand. Mein Taschengeld war knapp, doch die Buchhandlung schlug alljährlich ihre alten Ladenhüter los, zu lächerlich kleinen Preisen. Die Bücher wurden in Wühlkästen gestopft, und ohne feste Absichten machte ich mich darüber her, wartete einfach ab, was mir ins Auge fiel. Auf einem dieser Beutezüge stieß ich auf ein Taschenbuch mit einem äußerst seltsamen Cover, aufmerken ließ mich ein Ausschnitt aus einer Zeichnung des Surrealisten Max Ernst. Unter einer Mondsichel hoch über der Erde waren zwei Beinpaare – die Körper fehlten – mit etwas beschäftigt, das wohl ein himmlischer Beischlaf sein sollte. Das Buch – eine Prosaübersetzung von Lukrez‘ zweitausend Jahre altem Gedicht „De Refum Natura“ (Von der Natur) – war herabgestzt auf zehn Cent, und wie ich gestehen muss, hatte ich es eher auf den Umschlag abgesehen als auf die klassische Darstellung des Kosmos und seiner Ausstattung.“

Und weiter:  „Antike Physik ist nicht ganz das, was man sich unter Ferienlektüre vorstellt, doch irgendwann in diesem Sommer, in einer müßigen Stunde, nahm ich das Buch in die Hand und begann zu lesen. Und stieß schon in den ersten Versen auf eine mehr als hinreichende Rechtfertigung für die erotische Umschlagillustration. Lukrez setzt ein mit deinem glühenden Hymnus an Venus, Weiterlesen

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DFG-Tagung über Gründungsorte der Moderne: Historical events have to take place

„Sechs Jahre lang beschäftigte sich das interdisziplinäre Kollektiv aus Wissenschaftlern verschiedenster Sparten mit der Epochenschwelle um 1900. Nun fand das letzte internationale Symposium zum Thema ‚Gründungsorte‘ im Amerika Haus München statt“, schreibt Amelie Bornstein in der SZ: „‚Historical events have to take place‘ – mit diesen Worten begann Mitchell Weiterlesen

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Nutzloses Faktoid: Dieses Blog wurde seit Februar aus 37 Ländern abgerufen

WordPress bietet eine Weltkartenfunktion, mit der sich die mutmaßlichen Herkunftsländer der IP-Adressen zeigen lassen (auch wenn die Geolokation nicht immer so ganz präzise ist – außerdem gibt es ja auch noch HideMyAss et al.). Die Rangfolge der Abrufe sieht wie folgt aus: Deutschland (920), Österreich (191), Schweiz (76), USA (28). Und dann die Überraschung: Philippinen (22). Wie kann das sein? Spambots? Ein einzelner Fan? Kennen andere Blogger denselben Effekt? Sachdienliche Hinweise erwünscht. Weiterlesen

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Ein säkulärer Pilger über den Jakobsweg: „Backpackers, fops and dandies“

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Dürfen säkuläre Reisende sich einfach so unter die frommen Pilgerer mischen, um etwas zu erleben, das fragt ein Blog der New York Times den Autor Gideon Lewis-Kraus zu seinem neuen Buch „A Sense of Direction„. In dem Buch berichtet er über seine Pilgerreisen nach Santiago de Compostella, in die Ukraine und auf die japanische Tempelinsel Shikoku.

Was also können atheistische Pilger auf einer religiösen Pilgerreise überhaupt erleben, fragt da Blog:

Lewis-Kraus:  „One of the points of the book is ultimately to reject these distinctions, but it takes me a few trips over a few hundred pages to make the case. When my friend Tom and I started out on the Camino, we got really swept up in feeling as though we were pilgrims and not mere tourists, but once you begin to press this distinction it just falls apart. Some of the people on the Camino, and some armchair commenters, love to talk about how this used to be this Serious Religious Thing, and now it’s just for “dissipated” study-abroad students or backpackers or a whole cast of frivolous fops and dandies. But, as I said, this was always just a pretext to leave home, even when the understanding was that it was semi-obligatory. And now, even if you’re inclined to look at some of the pilgrims as “dissipated” for whatever reason, it’s still an inescapably ascetic, and often unpleasant, practice. It’s not like your blisters hurt any less because you’re studying abroad.“

Auch zur Motivation klassischer prämoderner Pilgerreisen hat er eine eigene Theorie: als Auszeit von der überwältigenden Autorität und Enge.Die Dynamik und Freiheit der Pilgerreise wirke dadurch stabilisierend, die Auszeit Autorität versöhne mit ihr:

„These might have been people in crisis, but … they suffered from a surfeit of authority, not a lack of one. These were pilgrims who had a perfectly good idea what their lives looked like at home; their hours were micromanaged by scriptural obligation from sunrise to sleep. In fact, one of the things about ultra-observant Jews is that there is no gray area: unless you are explicitly commanded to do something, you are actually prohibited from doing it. They were here to go beyond the fields for three days a year, to take a short and uniquely authorized break from the responsibilities of home, such that they might return to their seamlessly circumscribed lives with renewed vigor in compliance.“

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Annie Leibovitz pilgert zu Freud, Darwin, Dickinson (Frage: wo finde ich die Liste der Pilgerorte, die sie gemeinsam mit Susan Sontag erstellt hatte?)

Die Fotografin Annie Leibovitz begab sich auf eine intime und doch sehr kanonische Bildungsreise nach dem Tod ihrer Lebenspartnerin Susan Sontag. Im Herbst legte sie den darauf basierenden Fotoband vor: Pilgrimage. Dominique Browning schreibt in der „New York Times“ über Leibovitz‘ Besuch bei den Niagarafällen:

„she noticed that her girls were mesmerized. She went to where they were standing, and grew still. “I was stunned by the beauty of the water,” she says. The picture she took that morning became the cover of the book. Weiterlesen

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Gagarin unter Palmen: Impressionen zum Raketenstart am 20. Oktober

Captain Fish öffnet versonnen eine Flasche Bier mit der Klinge seiner Machete. Er hat einen guten Riecher, er weiß genau, wo ein guter Fang lockt, auf dem Meer und an Land.

„Wir waren acht Tage auf See in der Karibik“, sagt er, „wir haben 300 Fische gefangen, die haben wir gerade für 200 Euro verkauft.“ Die speckigen fünf-Euro-Noten hat er mit seiner Mannschaft geteilt, die fünf sitzen trinkend und verschwitzt auf dem rostigen Kutter am morschen Holzsteg von Sinnamary und feiern ihr Glück bei 32 Grad im Schatten, Zigaretten und Flaschen machen die Runde durch schwielige Hände.

Captain Fish, so nennen ihn seine Jungs, eigentlich heißt er Vishal Singh. Er kommt aus der ehemaligen britischen Kronkolonie Guyana, einem von drei Dschungel-Ländern zwischen Amazonas und Karibik. Aber er verkauft lieber hier im Nachbarland Französisch-Guayana, weil das wohlhabend ist, ein Außenposten der EU, ein vollwertiges Département von Frankreich, eine Exklave der Baguettes und Escargots zwischen Kokospalmen, wo im Radio für die Normandie Regenwetter angekündigt wird, 7000 Kilometer über den Atlantik.

Ausgerechnet Sinnamary, das verschlafene Kaff an einer schlammigen Flussmündung, Weiterlesen

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New York Times: Verhindern Twitter und Facebook die Demokratisierung?

Wieder einmal geistert diese These durch die Zeitungen: Das Internet, insbesondere Twitter und Facebook, seien bei Demokratisierungsprozessen nicht hilfreich. Sondern sie stören vielleicht sogar.

Das zumindest behauptet Noam Cohen in der „International Herald Tribune“ vom 30. August (S. 15):

Online tools may distract possible participants -until they’re taken away

The mass media, including interactive social networking tools, make you passive, can sap your initiative and leave you content to watch the spectacle of life from your couch or smartphone. Apparently even during a revolution.

That is the provocative thesis of a new paper by Navid Hassanpour, a political science graduate student at Yale, titled „Media Disruption Exacerbates Revolutionary Unrest.“ Using complex calculations and vectors representing decision-making by potential protesters, Mr. Hassanpour, who already has a doctorate in electrical engineering from Stanford University in California, studied the recent uprising in Egypt.

His question was, How smart was the decision by the government of President Hosni Mubarak to shut down the Internet and cellphone service completely Jan. 28, in the middle of the crucial protests in Tahrir Square in Cairo? His conclusion was, not so smart, but not for the reasons you might think.„Full connectivity in a social network sometimes can hinder collective action,“ he writes.“

Diese These ist nicht neu. Jewgenij Morosow trägt ein ähnliches Argument vor in seinem Buch „The Net Delusion“.

Allerdings lohnt es sich, genau hinzusehen auf die Methodik bei der Herleitung dieser Thesen. Hassanpours Argument scheint dies zu sein: Wer offline ist, demonstriert engagierter, denn Weiterlesen

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„Spiegel“ und „Stern“ und der Keks mit der eigenen Website: Brauchen wir Spam-Filter für die Realität?

 

 

September 2012: Mittlerweile sind QR-Codes so allgegenwärtig, dass es sich nicht mehr lohnt, neue Beispiele zu dokumentieren. Eher könnte ich dazu übergehen, Produkte zu fotografieren, die keinen QR-Code bieten. Auch der „Stern“ ist mittlerweile vom aufwändigen AR-System mit 3D-Darstellung zum Feld-Wald-und-Wiesen-QR zurückgekehrt.

Wer sich absetzen will von der allgemeinen QR-Seligkeit, muss sich schon etwas Besonderes einfallen lassen. Die Berliner Band „Seed“ zum Beispiel verzichtet gleich ganz auf Buchstaben auf den aktuellen Plakaten. Wer braucht das Alphabet, wenn es doch QR gibt?

 

 

August 2011: „Spiegel“ und „Stern“ erscheinen in der kommenden Woche in digital erweiterter Form. Statt DVD auf das Cover zu pappen, sind einige der Artikel mit „Augmented Reality“ aufgebohrt. Lese-App herunterladen, auf Bilder oder Codes halten, schon erscheinen zusätzliche Videos oder Fotos.

Der „Stern“ kündigt seine nächste Ausgabe so an:

Hier ein Video, das die AR-Inhalte des „Stern“ demonstriert.

Der „Spiegel“  bietet in der Ausgabe vom 29. 8. zusätzlich zur Titelgeschichte über Loriot den Sketch „Das Bild hängt schief“ als Video an:

Dieser zweidimensionale Code steht letztendlich einfach für die Adresse einer Website mit Videoinhalt, zum Beispiel (abhängig vom Betriebssystem des Smartphones): http://video.spiegel.de/flash/1145571_iphone.mp4

Der QR-Code steht dabei für dies Adresse (wenn man ein iPhone hat): http://video.spiegel.de/flash/1145698_iphone.mp4

Während der „Stern“ mit Bildererkennung arbeiten will (das Heft erscheint am Donnerstag, Thema ist der 11. September), bei der man das Smartphone auf ein Foto richtet, um weitere Inhalte abzurufen, setzt der „Spiegel“ Weiterlesen

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Happy Birthday Johann Wolfgang von!

Selbst Google gratuliert heute Goethe zum Geburtstag. Grund genug, ein paar Auszüge aus dem Loblied auf den Naturwissenschaftler Goethe zu bringen, das Harald Lesch und Hilmar Schmundt anstimmen in „Mekkas der Moderne“:

„Das Haus am Frauenplan 1. Von außen wirkt es wie eine süßliche Idylle, die sonnige Fassade Platz beherrschend hingefläzt hinter einem sprudelnden Brünnlein. Doch die behagliche Kulisse trügt. Hier fanden einst Tiefbohrungen statt, bodenlos, riskant, ergiebig bis heute. Nicht nur für Sonntagsreden pensionierter Studienräte, sondern auch für Geologen, Biologen, Astrophysiker. Goethes Einfluss auf die Kunst war gewaltig. Sein Einfluss auf die Wissenschaft ist es noch heute.

Der Museumsshop am Eingang seines Hauses ist eine Zumutung. Ein Hauch von Disneyland: Postkarten, Tassen, Büstn, Topflappen, T-Shirts. Der Geheimrat würde sich im Grabe umdrehen – aber nur, um besser sehen zu können. Er liebte den großen Auftritt, ein Meister der Inszenierung, nicht nur im Theater. Dies Haus war seine Bühne.

Ein Salon reiht sich an den nächsten, Tiefblicke als Imponiergehabe: Großes Sammlungszimmer, Weiterlesen

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