Moderne oder Barock? Brasília wird 60

Am 21. April 1960 wurde die Retortenrstadt eingeweiht mit viel Tamtam. Philipp Elsner erkennt in der brasilianischen Idealstadt den größenwahnsinnigen Traum von Sozialingenieuren, deren Experiment mit den Bedürfnissen der Bewohner kollidiert. Er schreibt in „Mekkas der Moderne“:

„Rauchend sitzt er da, das lange Fensterband hinter ihm gibt den Blick auf den weißen Strandsaum der Copacabana frei. An diesem Dezembertag 2007 ist er 100 Jahre alt geworden und die

Welt, in Gestalt zweier Journalisten einer großen deutschen Nach- richtensendung, ist noch einmal zu Gast in seinem Atelier. Sie begehrt zu wissen, wieso er sich ausgerechnet einen kleinen fensterlosen Raum im hinteren Teil zum Arbeiten auserkoren hat, anstatt den Ausblick auf den Strand von Rio de Janeiro zu genießen?

Oscar Niemeyer ist eine Art »lebendes Fossil«, der letzte der Architekten jener baulichen Moderne, die man heute klassisch zu nennen pflegt. Obwohl eine Generation jünger, steht sein Name neben Walter Gropius, Mies van der Rohe und Le Corbusier für den utopischen Aufbruch der Architektur in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts.

Seine Architektur finde im Kopf statt, antwortet er. In seiner Kammer träume er sich an den Ort des Entwurfs, zumal er ob seiner Flugangst nur selten die Baustellen seines international täti- gen Büros besucht. Doch auch wenn Niemeyer keineswegs im Ruhestand ist, geht es an diesem Tag vor allem um die Vergangen- heit, um Rückschau auf sein langes und einflussreiches Schaffen, das über seine Heimat Brasilien hinaus eine ganze Architektengeneration mitgeprägt hat. Und es geht um jenes Werk, das ihn weltberühmt gemacht hat: Brasília.

Niemeyer ist der einzige lebende Architekt, von dem ein komplettes Bauensemble ganz offiziell zum Weltkulturerbe zählt. Seine Bauten prägen das Bild der in nur vier Jahren aus dem Boden gestampften Hauptstadt Brasiliens, die seit 1987 auf der Liste der Unesco steht. In Brasília verbanden sich die Sozialutopien des »Neuen Bauens« mit einem Kernstück des brasilianischen Gründungsmythos. Seit den Tagen der Unabhängigkeit Brasiliens war die Schaffung einer neuen Hauptstadt im unerschlossenen Hinterland Teil der nationalen Erzählung gewesen.

Nachdem ihre Errichtung schon 1891 in der ersten republikanischen Verfassung festgeschrieben und ein Bundesdistrikt im zentralbrasilianischen Goiás eingerichtet worden war, wagte sich Präsident Juscelino Kubitschek nach dem Zweiten Weltkrieg an die Verwirklichung des Mammutprojekts. Und so entstand ab 1956 auf der Basis des »Plano Piloto« des brasilianischen Architekten Lúcio Costa das Schaufenster des neuen Brasilien auf dem Hoch- plateau des Distrito Federal do Brasíl.

Eine Studie hatte zuvor Eignung und Erdbebensicherheit des Ortes bescheinigt. Weitab der Küste, in gut 1000 Meter Höhe, herrscht hier stets ein angenehm gemäßigtes Klima mit Temperatu- ren, die übers Jahr nur wenig um die mittlere Tagestemperatur von 26 Grad Celsius schwanken. In den fünfziger Jahren befand sich der Bauplatz im Bundesstaat Goiás fern jeder Zivilisation. Hier, wo die rote Erde und das blasse Grün der Strauchvegetation und vereinzelten Baumgruppen den bestimmenden Kontrast bilde- ten und die nächste befestigte Straße 640 Kilometer entfernt war, mussten Holz und Baustahl aus über 900 Kilometer Entfernung herangeschafft werden.

Die Arbeiten standen von Anfang an unter enormem Zeitdruck. Nach der damaligen Verfassung konnte der Präsident nicht wieder- gewählt werden, und Kubitschek war sich mit Blick auf die Realitäten eines politisch noch instabilen Schwellenlandes darüber im Klaren, dass sein monumentales Projekt bis zum Ende seiner Amtszeit im Wesentlichen vollendet sein musste.

Das Datum der offiziellen Einweihung der neuen Hauptstadt am 21. April 1960, zugleich Gedenktag der Entdeckung Brasiliens durch den Portugiesen Pedro Cabral um das Jahr 1500, war lange im Voraus festgelegt, und zumindest die zentralen Regierungsbauten waren zu diesem Zeitpunkt tatsächlich realisiert. Die meisten Regierungsfunktionen verblieben jedoch zunächst noch in der alten Hauptstadt Rio de Janeiro. Auch, weil sich die Beamten und Staatsangestellten weigerten, ihre pulsierende Heimatstadt zugunsten einer künstlichen und noch leblosen Idealstadt im Hinterland zu verlassen.

Als die Hauptstadt offiziell eingeweiht wurde, war Brasilien pleite. Die beiden glücklosen Nachfolger Kubitscheks im Präsidentenamt hatten andere Prioritäten als den Weiterbau der teuren

neuen Hauptstadt. Man mag es für eine Ironie der Geschichte halten oder schlicht folgerichtig nennen: Erst die Militärs, die sich 1964 an die Macht putschten, entdeckten die monumentalen Formen Brasílias wieder. Als die Militärparaden durch Costas Monumentalachsen zogen und Niemeyers Bauten die Kulisse für die Selbstinszenierung der Generäle abgeben mussten, erlebte die Stadt einen Aufschwung. Sie bevölkerte sich, vor allem, nachdem ein Gesetz erlassen worden war, das die widerspenstigen Staatsbediensteten dazu zwang, von Rio nach Brasília umzuziehen.

Niemeyer arbeitete zunächst weiter in Brasília, wurde allerdings als Mitglied der kommunistischen Partei von den neuen Machthabern zunehmend misstrauisch beäugt. Schließlich verließ er Ende der sechziger Jahre Brasilien. Entnervt von andauernden Schikanen und Behinderungen seiner Arbeit setzte er seine Karriere in Europa fort.

Ohne Kubitschek und seinen sendungsbewussten Enthusiasmus hätte es Brasília wohl nie gegeben: »Die Architektur Brasílias ist es«, verkündete der Präsident zu Baubeginn unbescheiden, »welche den hohen Grad der Zivilisation meines Landes widerspiegelt, genau, wie die griechisch-lateinische Baukunst und Bildhauerei die Pracht der Zivilisation Griechenlands und Roms verkünden.« Und doch erinnert nichts in der neuen Hauptstadt an das überschäumende Straßenleben und die alten portugiesischen Kolonialhäuser brasilianischer Küstenstädte. Kubitscheks Brasilien war das einer erhofften Zukunft, die damals zum Greifen nah schien. Er glaubte fest an die Möglichkeit an diesem Zukunftsort »eine neue Generation von Brasilianern zu kreieren, in welcher sich das Zusammenleben und der Erziehungsprozess zum ersten Mal zu einem Gefühl der Brüderlichkeit harmonisch verbinden.« Es sind große Worte, die heute in den Ohren vieler Brasilianer hohl klingen.

Der Staatsmann und der Architekt begriffen sich als Sozialingenieure einer menschenwürdigeren Zukunft. Dies war ein Nachklang der Sozialutopien, die sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts in Kunst und Architektur entwickelt hatten. Doch das »Neue Bauen« versprach mehr als eine Revolution des baulichen Rahmens menschlicher Lebens- und Arbeitsweisen. Immer neue Zusammen- schlüsse geistesverwandter Künstler und Architekten machten auf sich aufmerksam und warfen neue Schlagworte in die Debatte über Abhilfe von den Problemen der allzu rasanten Entwicklung der Industriegesellschaft. Viele Architekten suchten, die Baukunst

aus einem rein ästhetischen Kontext in eine Position gesellschaftspolitischer Verantwortung zu rücken. Der sichtbarste gebaute Ausdruck ihrer Bemühungen waren die Arbeitersiedlungen, die während der Weimarer Republik vielerorts auf Genossenschaftsbasis entstanden.

Diese vielgestaltige Bewegung des Neuen Bauens organisierte sich ab 1928 im Congrès International d’Architecture Moderne (CIAM). In mehr oder weniger regelmäßiger Reihenfolge fanden nun Kongresse statt, auf denen die theoretischen Leitlinien für die Zukunft der Architektur erarbeitet werden sollten. Die Erklärung des ersten Kongresses im schweizerischen La Sarraz suchte den »willkürlichen Ästhetizismus« der historistischen Fassaden aus der Architektur zu verbannen.

Funktionalismus war auch das Schlagwort, das fünf Jahre später zum Titel eines eigenen Kongresses zum Thema Städtebau wurde. Unter der Leitung von Le Corbusier fand im Sommer 1933 die vierte CIAM-Konferenz »Die funktionale Stadt« auf einem Kreuzfahrtschiff auf der Reise von Marseille nach Athen statt. Sie produzierte ein Dokument, das sich als inspirierend und zerstörerisch zugleich erweisen sollte. Ihre Wirkung entfaltete die Abschlusserklärung aber erst, als sie 1943 von Le Corbusier unter dem Namen »Charta von Athen« in vereinheitlichter Form herausgebracht wurde. Die 111 Artikel waren thematisch nach den Hauptfunktionen der Stadt geordnet, auf deren Realisierung sich das funktionalistische Credo beziehen sollte: Wohnen, Erholung, Arbeit und Verkehr. Später wurde ein Abschnitt über den Umgang mit dem historischen Erbe der Städte ergänzt. Die Charta enthielt zunächst eine Analyse der drängendsten Probleme der europäischen Großstadt, formulierte Zielvorgaben zu ihrer Lösung und machte dann Vorschläge für konkrete Verbesserungen. Der Ton der Zielvorgaben war allgemein gehalten und beförderte so die Illusion universeller Anwendbarkeit der darauf folgenden Verbesserungsvorschläge, die letztlich eine recht dogmatische und begrenzte Auffassung vom Städtebau der Zukunft dargelegten.

Im Zentrum aller Überlegungen sollte der Wohnungsbau stehen. Als negatives Gegenbild fungierte die Wohnsituation in den dicht besiedelten Stadtkernen der alten Industriezentren. Unzureichende Belichtung der Hinterhäuser durch die Bebauung des Blockrandes, Aufzehrung von Frei- und Grünflächen durch Bodenspekulation, schlechte hygienische Verhältnisse und Abgasbelastung durch nahe Industrieanlagen wurden als die größten Missstände identifiziert. Dagegen sprachen sich die CIAM-Teilnehmer für eine strenge räum- liche Trennung der städtischen Funktionen aus. Wohn-, Arbeits- und Geschäftsbezirke sollten je einen eigenständigen Sektor im Stadtganzen einnehmen. Um einen möglichst störungsfreien und sicheren Stadtverkehr zu ermöglichen, sollten auch die Verkehrswege einer Trennung je nach der Geschwindigkeit der jeweiligen Verkehrsteilnehmer unterliegen.

Aus den unzähligen Entwürfen für Idealstädte im ersten Drittel des noch jungen 20. Jahrhunderts lässt sich nicht zuletzt eine ästhetische Faszination vieler Architekten für die neuen Verkehrträger erkennen. Auto und Flugzeug waren die Embleme einer städtischen Moderne, deren Geschwindigkeitsgewinn in der menschlichen Fortbewegung gleichsam für die unendlichen Möglichkeiten des Fortschritts und der universalen Machbarkeit menschlicher Verhältnisse standen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ließen die Mitglieder des CIAM die radikalen politischen Forderungen der Frühzeit fallen. Übrig blieben die ursprünglich aus gesell- schaftspolitischen Motiven entstandenen Schlagworte Funktionalis- mus und Rationalismus, in einer Zeit, in der die vom Krieg versehrten Städte Europas vor allem schnell günstigen Wohnraum bereitstellen mussten.

Brasília gilt bis heute als die reinste Verwirklichung der zentralen städtebaulichen Grundsätze, die im Verlauf der CIAM-Konferenzen popularisiert wurden. Costa, derVater des Stadtgrundrisses, war »Gelegenheits-Urbanist«, wie er selbst sagte, kein gelernter Stadtplaner. Sein Entwurf zeigte daher nicht zufällig einen Körper, eine Gestalt und keine räumliche Komposition mit Anleihen bei historisch gewachsenen Orten.

Costa war bereits im Alter von 29 Jahren zum Direktor der Kunsthochschule in Rio de Janeiro ernannt worden, und er war Oscar Niemeyers erster Arbeitgeber gewesen. Er gewann den Wettbewerb für die Hauptstadt. Sein Entwurf des »Plano Piloto« dynamisiert die Grundform des Kreuzes, mit dem schon die Römer ihre Militärstützpunkte im Barbarenland markierten. Ein Bogen mit Wohnvierteln und der Hauptverkehrsachse wird von einem Pfeil durchstoßen, der breiten Esplanade der Ministerien, die die Regierungsgebäude versammelt. An deren Kopf befindet sich die gebaute Demokratie des Platzes der drei Gewalten mit dem Planalto-Palast der Exekutive, dem Kongressgebäude als Sitz des Parlamentes und dem Oberstem Gerichtshof.

Der Wohnbogen ist in 90 »Super-Quadra« eingeteilt. Knapp zehn Fußballfelder groß sind diese quadratischen Baufelder, deren innere Aufteilung eine Komposition aus den von Niemeyer entworfenen standardisierten Appartementhäusern zeigt. Die drei- bis sechs- stöckigen Blöcke stehen auf jenen Betonstelzen, die durch Le Corbusier popularisiert wurden. Jeweils vier der »Super-Quadras« sind zu einer sogenannten Nachbarschaftseinheit zusammengefasst, die sich die lokale Infrastruktur teilt: 3000 Menschen finden dort alle für die Bewältigung des Alltags nötigen Einrichtungen, Schule, Kindergarten und Geschäfte in einer separaten Ladenstrasse.

Costas Planung der Wohngebiete war für brasilianische Verhältnisse ein egalitärer Entwurf. Es sollte durchaus eine soziale Schichtung durch unterschiedliche Wertigkeit der Wohnbebauung zulässig sein, aber zugleich rief Costa die Urbanisierungsgesellschaft Novacap auf, innerhalb jeder Nachbarschaftseinheit »gute und billige Wohngelegenheiten für die Gesamtheit der brasilianischen Bevölkerung zu schaffen«. Unter dieser Voraussetzung schrieb Costa auch die Verhinderung von Armenvierteln im Stadtgebiet fest.

Doch von der Vision des Hilfsarbeiters, der neben dem Staatssekretär wohnt, ist wenig geblieben. Zwar wurden immer wieder Ansiedlungen von Favelas aus dem Stadtbild entfernt, doch in den »Super-Quadras« blieb die gehobene Mittelklasse meist unter sich. Costas Entwurf wird bis heute vor Veränderungen geschützt, als sei er ein heiliger Text. Seine Grundrissfigur sieht Brasília von vornherein als fertig geplante Stadt vor. Für Wachstum oder Anpassung der Stadtlandschaft an die sich ändernden Anforderungen ihrer Bewohner ist kein Platz. Aufgrund dieser Unflexibilität des ursprünglichen Planes musste sich alles, was in ihm nicht von Anfang an vorgesehen war, seinen Platz außerhalb des »Plano Piloto« suchen. Das Exklusivitätsverlangen der kleinen Elite hat in einem Viertel mit Luxusvillen am Ufer des nahe liegenden Stausees seinen Ort gefunden.

Die ursprünglich als günstiger Wohnraum geplanten kleinen dreistöckigen Appartementblocks innerhalb der »Super-Quadras« waren so weit über dem üblichen Wohnstandard in Brasilien, das auch sie schnell jene Mittelschicht-Mieter fanden, für die eigentlich mehrere Viertel aus Einfamilien-Reihenhäusern vorgesehen waren. Die Immobilienpreise erhöhten sich entsprechend. So fand sich das untere Ende der brasilianischen Gesellschaft in den völlig ungeplanten Satellitenstädten wieder, die nach und nach um die Hauptstadt entstanden. In diesem Ballungsraum leben heute 2,3 Millionen Menschen. Die Kernstadt selbst, obwohl geplant für 600.000 Menschen, kommt nur auf knapp 200.000 Einwohner.

In Brasília dominieren in Grundriss und Bauten die Großformen, ein eindrucksvolles und durchaus beabsichtigtes Gegenprogramm zu dem intimen Raum verwinkelter Altstadtgassen. Große Flächen sind mit Stein oder Beton versiegelt, und die meisten unversiegelten Freiflächen dienen allein den Monumental-Ansichten der Architektur. Auf Niemeyers Handskizzen zu Brasília ist häufig ein kleines Auge zu sehen, mit dem er verschiedene Sichtwinkel auf seine Schöpfungen zeichnerisch erprobte: Monumentalität fürs Auge.

Obwohl die vielen staubigen Trampelpfade davon zeugen, dass die Bewohner der Stadt so gut es geht Besitz von den weiten Grünflächen ergreifen, fühlt man sich vor Ort stets wie der Teilnehmer an einem Großversuch. Und genau das ist Brasília letztlich immer gewesen. Es fällt stets leicht, angesichts der Dis- krepanz zwischen den optimistischen ursprünglichen Planungen und der heutigen Realität das Projekt Brasília für gescheitert zu erklären. Wichtiger wäre es wohl darüber zu sprechen, inwiefern es überhaupt bewältigbar war, denn nur so lässt sich wirklich ein Sinn für das städtebaulich Mach- und Wünschbare entwickeln.

Über fünfzig Jahre nach dem Baubeginn der neuen Kapitale sitzt Niemeyer in seinem Atelier und weist den zentralen Traum der Architektur der klassischen Moderne zurück, einen Traum, den er damals an den Baugruben von Brasília mitgeträumt hatte: Architektur allein, so sagt er, könne nichts verändern. Allein das Leben bringe Veränderung und wenn sich das Leben verbessere, werde auch »die Architektur menschlicher und komme zum Volk zurück.«

Es ist Niemeyer in Brasília nicht vergönnt gewesen, die Architektur zum Volk zurückzubringen. Erst war sie Bühne der Militärs, dann wurde sie für die Mittelschicht von der brasilianischen Realität der Favelas gesäubert. Aber Niemeyer war Architekt, und als solcher hat er wie kein anderer die plastischen Eigenschaften des Stahlbetons erforscht und bis zum Exzess geführt.

Die Knospenform der Kathedrale von Brasília ist wohl sein meistabgebildetes Werk, doch ein Blick auf den Zweckbau des Planalto-Palastes lehrt viel eindrücklicher die Vorzüge von Niemeyers Architektur. Traumhaft leicht wirkt diese Betonskulptur, die auf sichelförmigen Stelzen über dem Boden schwebt. Auch die Innenräume sind gelungen: Die weiten plateauartigen Räume mit ihren bis zum Boden reichenden Fensterbändern reflektieren das bestimmende Raumgefühl der Hochebene, die sich draußen bis zum Horizont ausbreitet.

Niemeyers Kritiker haben ihm diese Träumereien in Beton stets vorgehalten: Er sei zu formverliebt, stelle die Form über den Inhalt. Seine Bauten seien schön, aber alles andere als funktional. Sie hätten den Barock in die moderne Architektur zurückgebracht, die sich doch vom unnützen Ballast der geschwungenen Sandstein- fassaden reinigen wollte. Niemeyer hat sich von dieser Kritik nie beeindrucken lassen. Seine Architektur, antwortet er, transportiere eben den Enthusiasmus, mit dem er selbst stets an die Arbeit gegangen sei. Seine Bauten seien vergänglich, natürlich, seine Ästhetik nicht von ewiger Gültigkeit aber sie sei gebaute Hoffnung. Denn, und an dieser Stelle hört man den überzeugten Kommunisten Niemeyer: Lenin habe gesagt, nur wer träumt, kann Neues schaffen.

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